Ein einzigartiges Mikroskop aus Jena
Der Name Zeiss ist untrennbar mit Jena verknüpft. Das gilt seit ca. 170 Jahren. Doch auch bevor es die in späteren Jahren Weltgeltung erlangende Zeiss-Werkstatt gab, bestand schon eine überschaubare optische Tradition in der kleinen Universitätsstadt Jena, deren Universität 1558 gegründet wurde. Hier wird zu klären sein, auf welche Tradition in optischer und mechanischer Hinsicht Zeiss aufbauen konnte.
Carl Zeiss (1816 - 1888) begann 1834 bei dem "Großherzoglichen Sächsischen Hofmechanikus" Dr. Friedrich Körner (1778 - 1847) eine vierjährige Lehre und besuchte während dieser Zeit an der Universität in Jena Vorlesungen über Physik und Mechanik. Dieser Friedrich Körner war seit 1816 Universitätsmechaniker in Jena; er gründete 1820 eine Werkstatt für Mechanik und Optik. Lange Jahre bemühte er sich erfolglos, brauchbares Flintglas für seine Optiken herzustellen. In den Jahren 1829 bis 1832 versuchte er, mit dem Mathematiker F. W. Barfuß (1809 - 1854) Optiken zu berechnen.
Abb. 1: Mikroskop von J. F. Braunau
In Körners Werkstatt hatte einige Jahre zuvor schon der fast unbekannte Johann Friedrich Braunau (1810 - 1860) seine Ausbildung gemacht, bevor Zeiss dort seine Lehrzeit absolvierte. Braunau ließ sich 1835 in Jena als Optiker nieder. Nach Körners Tod im Jahr 1847 wurde Braunau zum Universitätsmechaniker ernannt. Kurz zuvor ließ sich Carl Zeiss 1846 in Jena als Mechaniker und Optiker mit einer eigenen Werkstatt nieder.
In den Jahren 1838 bis 1845 hatte Zeiss zunächst zur weiteren Ausbildung in verschiedenen Werkstätten zur Herstellung mathematischer, physikalischer und optischer Geräte in Stuttgart, Darmstadt, Wien und Berlin gearbeitet. Zurück in Jena bildete er sich an der dortigen Universität in Chemie und Mathematik fort.
Abb. 2: Zeiss-Mikroskop mit der Nummer 4.948
Da Zeiss' Vaterstadt Weimar es nicht zuließ, versuchte er, sich in Jena selbständig zu machen. Nach einer Prüfung erhielt er 1846 dort die Erlaubnis "zur Fertigung und zum Verkauf mechanischer und optischer Instrumente sowie zur Errichtung eines Ateliers für Mechanik in Jena" (vgl. Schomerus, S. 7). Zeiss wurde nach Braunaus Tod 1860 Nachfolger als Universitäts- und 1863 als Hofmechanikus.
Abb. 3: Einsatzlupen des Braunau-Mikroskops
Im Frühjahr 1847 entstanden in der Zeiss'schen Werkstatt die ersten einfachen Mikroskope, die sogenannten Doublets oder Triplets. Sie wurden erfolgreich in das In- und Ausland verkauft. Um diese Mikroskope wird es im Folgenden in erster Linie gehen. Die Produktion zusammengesetzter Mikroskope erfolgte erst seit 1857. Abbildung 2 zeigt den Typ dieser ersten einfachen Mikroskope von Zeiss. Diese Mikroskope erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden stark nachgefragt, so dass innerhalb weniger Jahre 2.000 Stück verkauft werden konnten (vgl. Auerbach, S. 6).
Abb. 4: Signatur des Mikroskops von Braunau
Wenn auch Friedrich Körner als Mikroskophersteller zunächst Lehrherr von Johann Friedrich Braunau und später von Carl Zeiss war, so sind keine Mikroskope Körners bekannt. Er taucht aber in der einschlägigen Literatur als Hersteller von Mikroskopen auf. Nach 40 Jahren aufmerksamen Beobachtens der nationalen und internationalen Szene, kann ich feststellen, dass offensichtlich keine Mikroskope Körners existieren. Es gibt aber Abbildungen seines einfachen Mikroskops (vgl. Dippel, S. 6 und Harting, S. 85). Dippel kritisiert dabei die Fokussierung über eine Tischhöherverstellung. Die erfolgt bei Körner durch Zahn und Trieb.
Anders liegt der Fall bei J. F. Braunau. Im Internet gibt es nur auf dieser Website ein entsprechend signiertes Mikroskop. In der Literatur gibt es keinen weiteren Hinweis auf ein Gerät von Johann Friedrich Braunau aus Jena. Vermutlich ist das hier gezeigte Instrument zur Zeit das weltweit einzige bekannte Mikroskop Braunaus.
Abb. 5: Signatur des Mikroskops von Zeiss
Dieses Einfach-Mikroskop (vgl. Abb. 2) ist auf einen Kasten mit quadratischer Grundfläche montiert; die Kastenmaße betragen 10,5 x 10,5 x 6,5 cm. Das zaponierte Messinginstrument hat - auf den Kasten geschraubt - eine Höhe von 18 cm. Die optische Ausstattung besteht aus 3 Einsatzlupen, der Lupenarm ist schwenkbar. Grob- und Feineinstellung werden mit der Rändelschraube unter dem Tisch an der Seite des Statives betätigt. Der Spiegel hängt an einem stabilen Arm unter dem Tisch. Die Signatur befindet sich auf dem geschwärzten Tisch "Braunau Jena".
Abb. 6: Mikroskop von J. F. Braunau im Kasten
Wie oben erwähnt, baute Zeiss ab 1847 seine ersten Mikroskope ebenfalls als Einfach-Mikroskope, die sogenannten Doublets. Etliche davon wurden wie bei Braunau auf einen Kasten mit quadratischer Grundfläche montiert. Dieses Modell (Urmodell der Zeiss-Mikroskope) hatte einen großen Erfolg am Markt und begründete den guten Ruf als Mikroskophersteller. Dieser Typ des Einfach-Mikroskops wurde noch 1888 fast unverändert gefertigt. Dem Autor ist ein Modell mit der Nummer 13.298 und der Signatur "C. Zeiss Jena" bekannt. Im Zeiss-Katalog "Mikroskope und Mikroskopische Hilfsapparate" von 1891 findet sich noch immer dieses Mikroskop als "Präparierstativ IV" bezeichnet. Im Katalog wird es mit dem sogenannten Präparierfuß gezeigt. Der Kasten ("verschließbares Etui") ist aber ebenfalls bestellbar.
Abb. 7: Mikroskop von C. Zeiss im Kasten
Ein entsprechendes Mikroskop von ca. 1881 mit der Nummer 4.948 zeigt Abbildung 3. Die Kastenmaße betragen 11,5 x 11,5 x 7 cm. Das Mikroskop besteht ebenfalls aus zaponiertem Messing, wobei neben dem Tisch weitere Teile original geschwärzt sind. Die Höhe beträgt wie bei Braunau 18 cm, wenn das Gerät auf den Kasten geschraubt wird. Hier gibt es 2 Einsatzlupen; die Zahl der Lupen entsprach natürlich dem Kundenwunsch. Der schwenkbare Lupenarm und die Art der Grob- und Feineinstellung sind konstruktiv fast gleich. Der Spiegel hängt bei den frühen Einfach-Mikroskopen von Zeiss ebenfalls an einem stabilen Arm unter dem Tisch. Hier liegt ein recht spätes Mikroskop dieses Urmodells vor, bei dem der Spiegel wie später bei zusammengesetzten Mikroskopen befestigt ist. Die Signatur befindet sich auch auf dem Tisch "C. Zeiss Jena 4.948". Das Stativ wird bei Braunau an den Rand des Kastendeckels geschraubt, während es bei Zeiss mittig montiert wird. Ansonsten ist die Ähnlichkeit der beiden Mikroskope verblüffend. Selbst die Kastenmaße stimmen fast überein. Daher drängt sich der Verdacht auf, dass es einen Schöpfer und einen Nachahmer gab. Oder vielleicht war es eine gemeinschaftliche Entwicklung? Das lässt sich heute wegen der großen zeitlichen Distanz natürlich nicht mehr klären. Unter mehreren hundert Herstellern weltweit gibt es meines Wissens keinen, der vergleichbare Mikroskope gebaut hat. Natürlich gibt es die auf einen Kasten zu montierenden englischen, österreichischen und französischen Reise-Mikroskope. Diese haben jedoch keine in der Grundfläche quadratischen Kästen. Außerdem sind die Kästen in der Relation nicht so hoch. Und sowohl Spiegelbefestigung als auch Fokussierung sind grundsätzlich anders gelöst. Und die beiden einzigen Hersteller von Mikroskopen des 19. Jahrhunderts, deren Bauprinzip so gut wie deckungsgleich ist, kommen zufällig aus Jena. Eine erstaunliche Übereinstimmung!
---------------------------------------------------------------------------------------- (Copyright Björn Uwe Kambeck 02/2019)
Verwendete Literatur: (1) Auerbach, Felix: Das Zeisswerk und die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena, 5. Aufl., Jena 1925.
(2) Dippel, Leopold: Das Mikroskop und seine Anwendung. Erster Teil, 2. Aufl., Braunschweig 1882.
(3)Harting, Pieter: Das Mikroskop. Theorie, Gebrauch, Geschichte und gegenwärtiger Zustand desselben. 3. Band, Geschichte und gegenwärtiger Zustand des Mikroskops. 2. Aufl. Braunschweig 1866.
(4) Schomerus, Friedrich: Geschichte des Jenaer Zeisswerkes 1846 - 1946, Stuttgart 1952. (5) Zeiss, Carl: Katalog 29, Mikroskope und Mikroskopische Hilfsapparate, Jena 1891.
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