Carl von Rokitansky und sein Mikroskop

 

 

Das Mikroskop eines berühmten Mediziners des 19. Jh.

 

(short version in English at the end)

 

Es kommt nur sehr selten vor, dass ein wissenschaftliches Instrument einer bestimmten Person eindeutig zugeordnet werden kann. Hier handelt es sich um ein Mikroskop des berühmten Wiener Pathologen Carl von Rokitansky.

 

Der in Königsgrätz geborene Carl von Rokitansky (1804 - 1878) studiert von 1822 - 1824 in Prag und anschließend bis 1828 in Wien. 1834 wird er a. o. Professor und 1844 Ordinarius für die pathologische Anatomie in Wien. Obwohl Rokitansky ursprünglich kein reiner Mikroskopiker ist, wird er zum Begründer der österreichischen pathologischen Histologie.

 

Am Wiener Allgemeinen Krankenhaus hat Rokitansky mehrere tausend Leichen obduziert und für die Anatomie wissenschaftlich geordnet. Zu dem 1855 in einer Neufassung vorliegenden Lehrbuch der Pathologischen Anatomie schreibt Rudolf Virchow in einer Besprechung: "Rokitansky ist genau genommen der erste wahre deskriptive pathologische Anatom und seine Schilderungen der krankhaften Veränderungen werden für lange Zeit als Muster betrachtet werden können".

 

 

 

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                                                                                  Trommel-Mikroskop mit der Signatur "Meinem lieben Freunde Galatti zur

                                                                                  Erinnerung an meinen seligen Vater Hans Rokitansky"

 

 

 

Und weiter schreibt Virchow: "So ist er nun endlich auch in der Histologie nahezu auf den Punkt gekommen, der in der groben Anatomie seine Größe begründet hat". - Was ist über den Mikroskopiker Rokitansky bekannt? In seiner Selbstbiographie heißt es, dass er sich anlässlich einer Reise 1842 aus Paris ein Mikroskop von Brunner mitgebracht hat. Bei der Neuauflage des dreibändigen Werkes "Lehrbuch der pathologischen Anatomie", 3. umgearbeitete Auflage, Wien 1855, fügt er zahlreiche Zeichnungen mit mikroskopischen Abbildungen bei. Diese Zeichnungen stammen vermutlich alle von Rokitansky, denn auf eine andere Person wird nicht verwiesen.

 

 

 

 

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                                                                     Das Rokitansky-Mikroskop liegend im Kasten mit 2 Okularen und 3 Objektiven

 

 

 

Ob es sich hier wirklich um das erwähnte Brunner-Mikroskop aus dem Jahr 1842 handelt, wird noch zu klären sein. Das hier vorliegende Mikroskop hat eher die typische Form und konstruktive Merkmale einer schlanken Trommel in der Tradition der Mikroskope von Georg Oberhäuser (1798 - 1868). Von dem Hersteller Brunner ist leider nur sehr wenig bekannt; er hat in Paris von ca. 1832 bis 1862 unter anderem Mikroskope gefertigt (vgl. News & Facts, Kapitel 11, Firmengeschichte Brunner). Ein Mikroskop von ca. 1860 ist "Brunner à Paris" signiert.

 

 

 

 

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                                                                   Unterteil des Bajonettverschlusses auf dem Kasten mit der Rokitansky-Signatur

 

 

 

Das hier vorliegende französische Trommel-Mikroskop mit der Rokitansky-Signatur besteht komplett aus Messing, es ist original zaponiert und stammt der Bauart nach zu urteilen etwa von 1840 bis 1850. Die Höhe beträgt 29 cm; zur Ausstattung gehören 3 mehrteilige Objektive; 2 dieser Objektive befinden sich geschützt in nummerierten Elfenbeindosen.

 

 

 

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                                                                                        2 Objektive in den zugehörigen Elfenbeindosen

 

 

 

Weiterhin gehören 2 Okulare zur optischen Ausrüstung. Die Grobeinstellung erfolgt durch ein Verschieben des Tubus per Hand - eine einfache und kostengünstige Art der Fokussierung. Die Feineinstellung erfolgt durch die Rändelschraube seitlich unter dem Tisch; dabei hebt sich der Tisch.

 

 

 

 

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                                                                               Die Grobeinstellung erfolgt durch das Verschieben des Tubus per Hand und die

                                                                               Feineinstellung durch Heben und Senken des Tisches

 

 

 

Es scheint sich um ein Reisemikroskop zu handeln. Dafür spricht auch, dass sich der Fuß durch eine bei Mikroskopen ungewöhnliche Konstruktion nach Art eines Bajonettverschlusses schnell auf dem Kasten befestigen lässt. Eine dafür vorgesehene Messinghalterung ist in den Kastendeckel eingelassen. Das äußerlich hervorragend erhaltene Mikroskop befindet sich sowohl mechanisch als auch optisch in einem guten bis sehr guten Zustand. Der Kasten trägt eingestanzt die Nummer "1.050". Einige Indizien sprechen dafür, dass das hier vorgestellte Mikroskop vermutlich aus der Werkstatt von Georg Oberhäuser stammt. Der Kasten für das Mikroskop gleicht den Mikroskopkästen von Oberhäuser nach Bauart und verwendetem Holz vollkommen. Die eingestanzte Nummer 1.050 befindet sich an derselben Stelle wie auch bei Oberhäuser-Instrumenten. Außerdem stimmen Größe und Art der verwendeten Ziffern überein.

 

 

 

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                                                                                 Das Mikroskop ist komplett und sehr gut in Funktion und Zustand.

 

 

 

Das kleine Schutzkissen im Kastendeckel gleicht in der Farbe und vom Material her den von Oberhäuser für seine Mikroskopkästen verwendeten Kissen. Der Tisch ist unten teilweise mit einer stumpf wirkenden grünen Farbe versehen. Diese Farbe ist offensichtlich dieselbe wie die, die bei den Oberhäuser-Mikroskopen verwendete wurde. Das heißt, es besteht Grund zu der Annahme, dass das hier besprochene Mikroskop des Wiener Mediziners Carl von Rokitansky aus der Optischen Werkstätte des bekannten Herstellers von Mikroskopen Georg Oberhäuser stammt.

 

Diese Annahme wird auch durch die erwähnte Nummerierung des Mikroskopkastens gestützt. Georg Oberhäuser produzierte in Paris Mikroskope von 1822 - 1860. Da in dieser Werkstatt - im Gegensatz zu den Produkten von Brunner  - alle Mikroskope fortlaufend nummeriert wurden, ergibt die Baunummer einen wichtigen Anhaltspunkt für das Jahr der Entstehung eines Instruments. Die Nummer 1.050 wurde etwa 1840 - 1844 hergestellt. Diese Angabe passt zu allen bisher über das Mikroskop bekannten Daten.

 

Man kann aber davon ausgehen, dass es sich hier um das oben erwähnte in Paris erworbene Instrument handelt, und dass Carl von Rolitansky mit diesem Mikroskop gearbeitet hat. Denn der Signatur und Widmung entsprechend wurde das Mikroskop Carl von Rokitanskys durch seinen Sohn Hans, dem Wiener Opernsänger, einem Freund im Andenken an seinen Vater geschenkt.

 

 

Short version in English

 

The famous Austrian professor of anatomy Carl von Rokitansky (1804 - 1878) was born in Königsgrätz. After studies in Prague and Vienna he became a professor of pathological anatomy in 1834 in Vienna. At the beginning not a real microscope man he became the founder of the pathological histology of Austria.

 

Here we have a microscope which is engraved "Meinem lieben Freunde Galatti zur Erinnerung an meinen seligen Vater Hans Rokitansky" (For my good friend Galatti in memory for my late father Hans Rokitansky). This here pictured microscope was definitely one of the microscopes of Rokitansky! It is a very rare case that you find a microscope which belonged a special person.

 

Rokitansky wrote in his self biography that he brought a microscope from Brunner with him from a trip to Paris in 1842. Brunner was a maker of microscopes between 1840 and 1860 in Paris. But only a very few microscopes of Brunner are known.

 

But this discussed Rokitansky microscope is made in the tradition of Georg Oberhäuser (1798 - 1868). Oberhäuser went from Germany to Paris and was a famous maker of microscopes between 1822 and 1860. - The microscope here is a travelling drum instrument fully made of brass with its case as the base. The original laquer is nearly in mint condition, the hight is 11,5" (29 cm); it has 3 objectives (2 in numbered ivory cannisters), 2 oculars; coursefocusing with the tube by hand, fine focusing with the screw underneath the stage; the case is numbered "1.050".

 

The perfect working microscope and the accessories contained within a fitted mahogany case with blue lined interior. This microscope seems to be made of G. Oberhäuser. Firstly the wooden case and the construction of the microscope are made in the manner of Oberhäuser. And the case number "1.050" is made in the same manner like the numbers of all Oberhäuser cases. The green colour underneath the stage ist the colour which Oberhäuser used for his microscopes. And finally Oberhäuser numberd his microscopes one after the other. The number "1.050" of the Rokitansky microscope was made between 1840 and 1844. This coincides with all attributes of the microscope.

 


 

Teilweise aus: Georg Dhom, Geschichte der Histopathologie, Berlin 2001. Ergänzungen durch eigene Recherchen.

Copyright Björn U. Kambeck, 02/2012.